Titel
Napoleon. Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser


Herausgeber
Veltzke, Veit
Erschienen
Köln 2007: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
586 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Deinet, Universität Essen

Über kaum eine andere Gestalt ist der Hobel der Geschichte so nachhaltig hinweggegangen wie über Napoleon. Nicht dass er vergessen wäre: das Gegenteil ist der Fall. Gegenwärtig häufen sich landauf, landab die 200jährigen Anlässe, seiner zu gedenken, und sie werden uns noch bis 2015 begleiten. Aber wo die Generation der Enkel, ein Heinrich von Treitschke und ein Theodor Mommsen, sich noch heftig an der Frage abarbeitete, wie sein Wirken vor der Geschichte abschließend zu beurteilen sei, ob das Gute, das seine Herrschaft im Gefolge hatte, das Schlimme überwog oder umgekehrt, da steht heute ein weises, ja manchmal auch ein gemütliches Sowohl-als-auch. Dass er die große Portalgestalt des 19. Jahrhunderts war, dass er den Modernisierungsprozess, den die Französische Revolution angestoßen hatte, in der Art eines Katalysators auf Deutschland übertragen hat, das gilt heute als unbestreitbar. Die Kehrseiten dieser Errungenschaft, die für die Zeitgenossen unerhörte Zahl der Opfer, die seine Kriege forderten, ist demgegenüber – wohl auch nach den viel schlimmeren Erfahrungen des 20. Jahrhunderts – in den Hintergrund getreten; sie bilden das Kleingedruckte der Geschichte, über das die Historiker zwar nicht verschämt hinwegschweigen, das aber als notwendiges Begleitphänomen einer Umbruchszeit klaglos ad acta genommen wird…

Dies ist jedenfalls der Eindruck, den die Lektüre des opulenten Katalogs hinterlässt, der die Ausstellung „Napoleon. Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser“ begleitet, die vom Preußen-Museum Nordrhein-Westfalen an den Standorten Kleve und Minden im ersten Halbjahr 2007 veranstaltet wird. Gestaltet haben ihn neben dem Ausstellungsnestor und Herausgeber Veit Veltzke und seinen Mitarbeitern vom Preußen-Museum einige Mitglieder des Sonderforschungsbereichs 496 („Symbolische Kommunikation“) der Westfälischen Wilhelms-Universität unter Leitung von Professor Hans-Ulrich Thamer, der auch den Einleitungsbeitrag schrieb, sowie zahlreiche weitere Spezialisten.

Der Katalog breitet nach einigen einführenden Texten, die den regionalen und historischen Rahmen abstecken, die verschiedenen Facetten der napoleonischen Herrschaft zwischen Rhein und Weser, genauer gesagt: zwischen Rhein und Elbe (denn bis dahin reichte das von Napoleon kreierte Königreich Westfalen) aus. So finden sich Beiträge über die Religionspolitik ebenso wie über den Chausseebau, die Kartografie, die Auswirkungen der Kontinentalsperre auf Gewerbe und Handel und natürlich über die Armeen der neuen Modellstaaten Berg und Westfalen. Einen besonders großen Raum nehmen Erörterungen über den Kulturtransfer zwischen Frankreich und den beiden Modellstaaten, die verschiedenen Formen der Propaganda, die „politische Kommunikation im Bereich des Visuellen“ am Beispiel von Karikaturen und ähnliche Themen ein. Ausblicke auf die preußische Zeit nach 1815 sowie Beethovens und Heines Beziehung zu Napoleon runden den Band ab.

Die Übersicht zeigt schon eine Krux der Schau: Ein einheitliches Bild der napoleonischen Herrschaft auf dem Gebiet des heutigen Nordrhein-Westfalen gibt es nicht. Während die linksrheinischen Gebiete seit 1795 kontinuierlich besetzt und zwischen 1800 und 1815 integrierter Bestandteil Frankreichs waren, wurden die rechtsrheinischen Gebiete erst infolge der endgültigen Auflösung des Alten Reiches und des umfangreichen Umbaus des gesamten mitteleuropäischen Raumes nach dem Frieden von Tilsit 1807 zum Objekt einer staatlichen Neuordnung, die aber von ihrem Stifter bis 1813 noch mehrfachen Überarbeitungen unterzogen wurde. So blieb nur das 1806 geschaffene Königreich Westfalen mit dem Napoleon-Bruder Jérôme an der Spitze als pseudo-unabhängiges Gebilde einigermaßen unberührt, während der Napoleon-Schwager Murat, der als Großherzog des um das Münsterland erweiterten Modellstaates Berg fungieren sollte, bereits 1808 ins Königreich Neapel wechselte, woraufhin das Großherzogtum einem kaiserlichen Kommissar unterstellt wurde, der seinerseits einem in Paris residierenden Minister gegenüber weisungsgebunden war. Hinzu kam, dass Napoleon sich aus militärischen und wirtschaftspolitischen Gründen 1810 entschloss, die nördlichen Teile sowohl Bergs wie Westfalens zu annektieren und die Grenze des Grand Empire über Wesel, Münster und Hamburg bis nach Lübeck auszudehnen.

Entsprechend disparat waren die dauerhaften Ergebnisse der napoleonischen Herrschaft auf dem Boden des heutigen Nordrhein-Westfalen. In den linksrheinischen Departements vollzog sich ein einschneidender Umbau der Sozialstruktur, der sich in einem nahezu abgeschlossenen Transfer des kirchlichen Besitzes in bürgerliche Hände und in einem deutlichen Aufblühen des Handels im allgemeinen mit Köln als neuer Hochburg und des Textilgewerbes im besonderen mit dem Zentrum Krefeld darstellte. Im Rechtsrheinischen dagegen blieben die Reformen weitgehend an der Oberfläche: Im Königreich Westfalen gab es immerhin eine eigene Verfassung mit einer Kammer, die der Zentrale in Kassel paradoxerweise in dem Augenblick in den Arm fiel, als es um die Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes bei der Steuererhebung ging. In Berg waren gerade erst die Vorbereitungen zu den Wahlen einer solchen Vertretungskörperschaft angelaufen, als die Herrschaft des Korsen 1813 zusammenbrach. Hier wie auch in Westfalen litt die Wirtschaft an den Auswirkungen der Kontinentalsperre ungleich stärker als am linken Niederrhein, weil ihr der französische Raum aufgrund der restriktiven Pariser Wirtschaftspolitik versperrt blieb.

Was gleichwohl funktionierte, war die neue Verwaltung, die in Form des aus Frankreich importierten Präfektursystems die linksrheinischen Departements wie auch das Territorium der neuen Modellstaaten überzog, die Einwohner erfasste und sie dem Fiskus unterstellte. Insbesondere die Militärverwaltung scheint die eigentliche raison d’être des Ganzen gewesen zu sein. Das zeigen die wunderschönen Uniformen der westfälischen und bergischen Grenadiere, Dragoner, Voltigeure, Lanciers usw. ebenso wie die Todeslisten der in Spanien und Russland Gefallenen. Die vereinzelten Unruhen, die es zwischen Rhein und Weser in diesen Jahren gab, hingen fast immer mit der rigiden Aushebungspraxis zusammen, unter der besonders diejenigen Bevölkerungsgruppen zu leiden hatten, die kein Geld besaßen, um einen Ersatzmann zu stellen. Dass die Qualität der Präfekten – mit zunehmender Dauer der napoleonischen Herrschaft mehr als vorher – von der Pariser Zentrale danach beurteilt wurde, wie weit es ihnen gelang, die Bevölkerung ruhig zu halten und dem Heer den nötigen Nachschub zu verschaffen, beweist nicht zuletzt die Tatsache, dass einer der Kandidaten seine ihm zuerst in Frankreich und dann am Niederrhein angetragene Stelle gar nicht antrat, weil er nach eigener Aussage mit den Problemen der Konskription nichts zu tun haben wollte. Immerhin, der Diktator duldete gnädig eine solche persönliche Verweigerungshaltung, konnte er doch auf eine genügende Zahl von Bewerbern zurückgreifen, die sich für eine Karriere in seinem Dienst empfahlen. Im Rechtsrheinischen waren dies vor allem Vertreter des alten Adels, die ihren Verlust als Angehörige der Herrschaftselite durch Eintritt in die neue Funktionselite wettmachten, allerdings war auch ein bürgerlicher Vertreter dabei, ein gewisser Johann Anton Schmitz, der wegen seiner rigiden Praktiken bei der Rekrutenaushebung in der Bevölkerung besonders verhasst war. Die erfolgreichste Aufsteigerin indes war die Solinger Kaufmannstochter Luise Berg, die den napoleonischen General Soult („Herzog von Dalmatien“) heiratete, einen der ganz großen Wendehälse im Frankreich des 19. Jahrhunderts, der es fertig brachte, sich nicht nur den zurückgekehrten älteren Bourbonen, sondern auch deren Nachfolger Louis Philippe als Mann der Ordnung zu präsentieren und der 1851 81jährig hochdekoriert in Paris starb, wobei ihn seine Gemahlin noch um einige Monate überlebte. Die Ausstellung zeigt das aufwendige Reisenecessaire, das von dem komfortablen Lebensstil dieser Neureichen zeugt.

Es sind solche anschaulichen Kleinigkeiten, die es lohnen, sich in die Lektüre des Katalogs zu vertiefen. Dabei schneiden die Berichte der Spezialisten durchweg besser ab als die der Generalisten. Sie nähern sich ihren Gegenständen mit nüchternem Erzählstil und ohne das gleichermaßen beeindruckende wie angestrengte Begriffsgeklapper, das die Aufsätze derjenigen Autoren kennzeichnet, die ihre Karriere noch vor sich haben. Zudem stört in den Einleitungsbeiträgen die stupende Redundanz bestimmter historischer Hintergrundinformationen. Hier wäre eine rigidere Handhabung des Rotstifts seitens des Herausgebers durchaus am Platze gewesen.